„Bis demnächst!“
Eine Lektion für mein Leben.
Ich berichte heute von einer Begebenheit, die ich vor einigen Tagen erlebt habe.
Ich war mit dem Fahrrad zu unserem Wochenendhäuschen gefahren, um eine Zeit der Stille zu haben und um Zeit mit Gott zu verbringen. Das bedeutet für mich, an einem Ort zu sein, an dem ich ungestört bin und meinen Fokus ganz auf die Bibeltexte richten kann und Stille für das Gebet finde.
Denn mir geht es so, wie den meisten von uns. Jeden Morgen wird der Körper wach und verlangt schon mal nach Kaffee oder Tee. Nach der Morgentoilette gibt es Frühstück und dann verpflichten uns Schule und Beruf oder andere Aufgaben, denen wir uns verpflichtet fühlen: Wäschewaschen, Hausputz, Rasen mähen, Einkaufen, oder ähnliches.
Als Christen sind wir nicht nur für das eigene Wohlergehen verantwortlich. Das Gebot der Nächstenliebe richtet unseren Blick auch auf den Nächsten, den Bedürftigen, den Kranken und wer sonst unsere Hilfe braucht. Dabei geht es nicht nur um materielle Hilfe. Oft ist es die Zeit, die wir Menschen schenken oder die Aufmerksamkeit, die wir anderen entgegenbringen. Oder es sind Worte des Trostes oder Worte der Ermutigung.
Am Morgen betete ich um Sensibilität für das was Gott getan haben möchte. Schließlich dreht sich sonst meist alles um mich selbst. Ich ahnte dabei nicht, dass Gott schon längst eine Situation vorbereitet hatte: Sie saß am Wegesrand; aber alles der Reihen nach. Nach meiner stillen Zeit machte ich mich auf den Weg zum nahegelegenen Discounter, um ein paar Kleinigkeit für das Frühstück zu kaufen.
Der Radweg führt durch einen kleinen Wald, an Wiesen und an einem kleinen Fluss vorbei. Den Discounter kann man am Ortsanfang des nächsten Dorfes schon erkennen. Etwa 20 m vom Radweg entfernt sehe ich einen Mann sitzen mit dem Rücken zum Radweg. Er schaut über die Wiese zum angrenzenden Wald. Offensichtlich hat er dort die Nacht verbracht. Braucht er etwa Hilfe?
„Ich könnte ihm etwas zu essen kaufen“, denke ich. „Wenn ich zurückfahre, und er noch dort sitzt, kann ich es ihm geben. Er wird nach der Nacht bestimmt Hunger haben.“ Mir gefiel der Impuls zur Wohltätigkeit; das ist doch Christenpflicht! Ich werde etwas aus der Backwarenabteilung kaufen, das ist unkompliziert.
Auf der Rückfahrt sehe ich, dass der Mann seine Schlafstelle verlassen hat und nun auf einer Bank sitzt; dieses Mal mit Blick auf den kleinen Fluss. Er warf mir einen kurzen Blick zu und widmete sich dann wieder der Zigarette, die er zwischen den Fingern hielt. „Och, das sieht ja gar nicht nach einer Notlage aus“, denke ich. Der Blick des Mannes war sehr aufgeräumt. Die Kleidung hingegen zerlumpt und schmutzig. Ich fahre also weiter.
„Halt!“, schießt es mir durch den Kopf. „Du hast doch für ihn etwas zu Essen gekauft!“ Ich wende mit dem Fahrrad und fahre die gut 100 m zu ihm zurück. Er schaut mich verwundert an. Ich frage ihn, ob er Hilfe brauche. Ich verstehe seine Antwort nicht ganz. Seine Rede ist stark dialektbehaftet, den ich nicht kenne. Ich verstehe: „Freundin weg… Er würde gerne arbeiten und Geld verdienen… Kein Handy… Kein Geld… Ich frage ihn, ob er Familie hat. Ja – er hat eine Zwillingsschwester, die werde ihn schon finden; aber ohne Handy…?
Ich gebe ihm das Gebäck, das ich für ihn gekauft hatte. Er bedankt sich freundlich. Auch etwas Geld, um über den Tag zu kommen. Und etwas Kleingeld, damit er seine Schwester anrufen kann.
Ich sage ihm noch, dass Gott auch seine Situation sieht und kennt.
„Ja, nur der kann helfen“, sagt er.
Ich ermutige ihn, zu Gott zu beten und füge noch hinzu, ich würde auch für ihn beten.
Wir verabschieden uns und ich fahre zu unserem Wochenendhaus und mache mir das Frühstück. Hier wollte ich mich ja in die Gemeinschaft mit Gott und in sein Wort vertiefen – und das bitte ungestört!
Was hatte ich die Tage noch gelesen?
„Was ihr für einen meiner gering geachteten Geschwister zu tun versäumt habt, das habt ihr auch an mir versäumt.“
Matthäus 25 Vers 45
Ich lese noch mal den ganzen Abschnitt:
31 „Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit mit allen Engeln gekommen ist, dann wird er sich auf seinen Thron der Herrlichkeit setzen. 32 Alle Völker der Erde werden vor ihm zusammengebracht, und er wird sie in zwei Gruppen teilen, so wie ein Hirt die Schafe von den Ziegen trennt. 33 Rechts werden die Schafe und links die Ziegen stehen. 34 Dann wird der König zu denen auf seiner rechten Seite sagen: ‚Kommt her! Euch hat mein Vater gesegnet. Nehmt das Reich in Besitz, das schon seit Gründung der Welt auf euch wartet! 35 Denn als ich Hunger hatte, habt ihr mir zu essen gegeben; als ich Durst hatte, gabt ihr mir zu trinken; als ich fremd war, habt ihr mich aufgenommen; 36 als ich nackt war, habt ihr mir Kleidung gegeben; als ich krank war, habt ihr mich besucht, und als ich im Gefängnis war, kamt ihr zu mir.‘ 37 Herr‘, werden dann die Gerechten fragen, ‚wann haben wir dich denn hungrig gesehen und dir zu essen gegeben oder durstig und dir zu trinken gegeben? 38 Wann haben wir dich als Fremden bei uns gesehen und aufgenommen? Wann hattest du nichts anzuziehen, und wir haben dir Kleidung gegeben? 39 Wann haben wir dich krank gesehen oder im Gefängnis und haben dich besucht?‘ 40 Darauf wird der König erwidern: ‚Ich versichere euch: Was ihr für einen meiner gering geachteten Geschwister getan habt, das habt ihr für mich getan.‘ 41 Dann wird er zu denen auf der linken Seite sagen: ‚Geht mir aus den Augen, ihr Verfluchten! Geht in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel vorbereitet ist! 42 Denn als ich Hunger hatte, habt ihr mir nichts zu essen gegeben, als ich Durst hatte, gabt ihr mir nichts zu trinken, 43 als ich fremd war, habt ihr mich nicht aufgenommen, als ich nackt war, habt ihr mir nichts zum Anziehen gegeben, als ich krank und im Gefängnis war, habt ihr mich nicht besucht.‘ 44 Dann werden auch sie fragen: ‚Herr, wann haben wir dich denn hungrig gesehen oder durstig oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht geholfen?‘ 45 Darauf wird er ihnen erwidern: ‚Ich versichere euch: Was ihr für einen meiner gering geachteten Geschwister zu tun versäumt habt, das habt ihr auch an mir versäumt.‘ 46 So werden diese an den Ort der ewigen Strafe gehen, die Gerechten aber in das ewige Leben.“
Matthäus 25 Vers 31 bis 46
Da habe ich ja noch mal Glück gehabt. Ich habe ihm zu Essen gegeben. Also zähle ich doch zu den Gerechten. Wirklich?
Ich komme ins Grübeln.
„Ich hätte ihn doch einladen können!“, denke ich. Es sind doch nur ein paar Hundert Meter bis zu unserem Häuschen. Ich könnte doch gemeinsam mit ihm frühstücken. Er könnte bei uns duschen und das verdreckte T-Shirt könnte ich durch ein sauberes ersetzen. Zur Not könnte er sogar im Gästezimmer schlafen.
„… Was ihr für einen meiner gering geachteten Geschwister getan habt, das habt ihr für mich getan.“
Matthäus 25 Vers 40
Da war doch mehr drin. Schließlich steht Jesus hinter diesem Mann; Kai ist sein Name. Wenn ich in seiner Lage wäre würde ich mich über eine Dusche freuen und vielleicht über ein Bett für eine Nacht.
„Jesus“, denke ich, „ich habe dich mit einem Happen zu Essen und etwas Geld abgespeist; dich nicht eingeladen. Dir keine Dusche angeboten. Ich habe dich auf Distanz gehalten“.
Ich unterbreche das Frühstück und fahre noch einmal zu der Bank am Fluss. Der Mann ist inzwischen weiter gezogen. Ich schaue die Straße entlang, sehe ihn aber nicht. Ich frage eine Frau, die dort spazieren geht, ob sie… „Ja, der mit dem schmutzigen T-Shirt und den zerlumpten Klamotten. Der ist in diese Richtung, Richtung Discounter gegangen.“ Ich fahre weiter. Ich durchlaufe den Discounter – Kai ist nicht zu finden.
Ich fahre den Radweg noch etwas weiter bis zum nächsten Ort – ohne Erfolg. Jesus ist weg, ich kann ihm nicht mehr dienen. Ich bete: „Jesus, komm doch bitte zurück, damit ich dir so dienen kann, wie es angemessen wäre.“ Aber Jesus ist nicht mehr auffindbar. Stehe ich jetzt auf der linken Seite, bei den Ungerechten?
Ich fahre wieder nach Hause. Einige Zeit später schwinge ich mich noch einmal auf mein Fahrrad. Ich fahre noch einmal am Fluss entlang, am Discounter vorbei bis ins übernächste Dorf. Plötzlich steht Kai – wie aus dem Nichts – vor mir! Er ist auf dem Weg zurück zur Bank. Ich sage ihm: Kai, ich habe nochmal nachgedacht. Du kannst gerne mit zu mir ins Wochenendhaus kommen. Du könntest dort duschen. Ich habe auch ein sauberes T-Shirt für dich. Und wir könnten gemeinsam essen…
Er bedankt sich für das Angebot. Er habe großen Respekt. Es sei alles okay bei ihm. Er habe sich schon etwas zu essen gekauft. Jetzt will er eine Stelle aufsuchen, die man ihm genannt hatte. Dort könne er wohl arbeiten – hart arbeiten, fügt er noch hinzu! Ich frage ihn, ob ich ein Foto zur Erinnerung von ihm machen könne. „Ja, gerne“, sagt er. Ich mache ein Foto von ihm und wir verabschieden uns. „Bis demnächst!“ sagt er noch.
Kai werde ich doch wohl bestimmt nicht wieder sehen! Aber es war so, als wenn er mir die Worte Jesu zusprach:
Bis demnächst… Bis zur nächsten Gelegenheit, anderen Menschen so dienen zu können, wie es z. B. der barmherzige Samariter getan hat. Und so, wie Jesus es sich von uns wünscht.
Ich bin froh, Kai noch einmal getroffen zu haben – Jesus stand hinter ihm.
Ich denke nach, über mein Herz, über mein Verhalten. Es geht nicht darum, ob ich links oder rechts stehe. Mein Herz ist sehr sensibel, wenn es um meine Bedürfnisse und Interessen geht. Auf der anderen Seite aber ist es ziemlich steif und unflexibel und in Wahrheit wenig christusähnlich, wenn es um andere geht.
Wäre Jesus an meiner Stelle, er hätte Kai sofort eingeladen. Da bin ich ziemlich sicher. Ich ahne, dass „…dein Reich komme…“ (aus dem Vaterunser) auch heute noch funktionieren kann. Jesus hat die Botschaft vom Reich Gottes in diese Welt gebracht. Er will, dass wir die Liebe, die er zu allen Menschen hat, an andere Menschen weiter geben; tätige Liebe!
Die Lektion, die ich gestern gelernt habe, kam nicht aus dem Bibeltext, den ich morgens gelesen habe. Ich habe meine Lektion an Kai gelernt. Ich schäme mich ein wenig für mein hartes Herz. Es wollte sich darin wohlfühlen, jemanden im wahrsten Sinn des Wortes ‚abgespeist‘ zu haben. Damit bin ich weit unter meinen Möglichkeiten geblieben.
Ich möchte sensibel werden für andere Menschen. Ich möchte sensibel sein, für das was Gott will. Diese Lektion nehme ich mit in mein Leben.